Die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen hat viele Vorteile – unter anderem den, dass der nicht wegzudiskutierende Fachkräftemangel etwas weniger ins Gewicht fallen könnte, wenn Bürgerinnen und Bürger viele Leistungen von zuhause aus in Anspruch nehmen – denn so kann Personal etwa in Bürgerbüros und/oder Zulassungsstellen eingespart werden.
Das Kernproblem hierbei ist, dass der Bürger in Kommune A einen Online-Dienst nutzen kann, den Kommune B nicht anbietet.
Die zwei Perspektiven der Flächendeckung
Jedoch bedarf es für eine vollumfängliche Verwaltungsdigitalisierung nicht nur einer flächendeckenden Verfügbarkeit der Dienste, sondern auch einer flächendeckenden Nutzung durch die Menschen. Nur wenn die Bürger überwiegend digital tätig werden, anstatt den Weg zum Amt zu gehen, lässt sich eine „digitale Dividende“ realisieren.
Nutzen dagegen nur wenige Menschen digitale Verfahren, ist es nicht sinnvoll, diese teuer zu entwickeln und flächendeckend auszurollen.
Wie also lassen sich die Bürger zur vermehrten Nutzung von Online-Diensten motivieren?
Zwang
Man könnte die Öffnungszeiten der Bürgerbüros maximal reduzieren sowie analoge Verfahren gänzlich abschaffen und die Menschen so dazu „zwingen“, den Online-Dienst zu nutzen.
Der tatsächliche Grad der Zielerreichung darf allerdings bezweifelt werden, da sich Menschen per se nur ungern zu etwas zwingen lassen und diese Maßnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu ihrer Zufriedenheit mit der heimischen Verwaltung beitragen würde. Unter Umständen könnten sich auch Hürden für Ältere sowie Menschen mit Behinderungen oder mit Sprachbarriere bilden. Das plötzliche, komplette Abschaffen einer persönlichen Betreuung und Beratung vor Ort wird das Vertrauen in den Staat kaum wiederbeleben.
Daher ist ein langsames Ausschleusen der analogen Verwaltung einem sofortigen Zugang zur digitalen Verwaltung vorzuziehen. Viel wichtiger ist, dass die Menschen die Nutzung einer (einheitlichen) elektronischen Identifikation und eines Bürgerkontos „erlernen“. Zum Beispiel könnte die Ausstellung der Steuer-ID bei Geburt mit Anlegen eines Bürgerkontos verbunden werden. Die dort abgelegte Geburtsurkunde können Eltern (nach Authentifizierung) nur dort abrufen und Behörden wie Arbeitgeber sind verpflichtet, das digitale Dokument zu akzeptieren.
Nutzerorientierung
Es gibt viele Gründe, warum die Menschen Online-Dienste nicht nutzen. Vielleicht wussten sie nicht, dass es eine bestimmte Leistung auch online verfügbar ist. Oder sie haben benötigte Unterlagen nicht parat. Oder sie verstehen Eingabefelder nicht. Oder sie können sich nicht authentifizieren. Damit Behörden mehr und konkreter erfahren, wo der Dienst Optimierungspotential hat, sind Feedback, Nutzerstatistiken und Web Analytics notwendig.
Wenn man möchte, dass Menschen Verwaltungsdienste online nutzen, reicht gutes Marketing nicht aus. Man muss die Angebote auch so gestalten, dass sie wirklich bequem zu benutzen sind. Nutzerorientierung klingt wie ein Buzzword, ist aber eigentlich ganz simpel. Jede Eingabeaufforderung sollte so klar formuliert sein, dass niemand überlegen muss, was nun genau gemeint ist. In der Praxis passiert das selten. Behörden setzen zwar schon lange auf Hilfetexte, aber die klingen oft so, als kämen sie aus einem internen Handbuch und nicht aus der Lebenswelt normaler Menschen. Ein Beispiel ist die Elster-Steuersoftware. Dort findet man lange Erklärungen, aber an entscheidender Stelle fehlt der einfache Hinweis, ob man Brutto oder Netto eingeben soll.
Wenn man ernsthaft will, dass Online-Verwaltung funktioniert, muss man die Menschen da abholen, wo sie stehen. Warum nicht kurze Hilfsvideos einbauen, Chatbots für einfache Fragen oder sogar Livechats mit Mitarbeitenden, die sich wirklich mit dem Thema auskennen?
Zur Nutzerorientierung gehört auch etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: Daten müssen nur einmal eingegeben werden. Dafür müssen Register technisch miteinander verbunden werden. Und auch die Perspektive der Sachbearbeiter spielt eine Rolle. Wenn die digitale Bearbeitung eines Antrags mehr Arbeit macht als das Papierpendel, wird man nie eine breite Nutzung erreichen.
Ende zu Ende und Push-Government
Ein digitaler Prozess bringt nur dann etwas, wenn er durchgehend digital funktioniert. Das bedeutet: Der Nutzer findet den richtigen Online-Dienst, kann sich einfach identifizieren, bezahlen, alles einreichen und am Ende auch den Bescheid digital erhalten. Eigentlich wäre es logisch, wenn der Steuerbescheid irgendwann ganz selbstverständlich per E-Mail ins Postfach flattert.
Noch besser wäre es, wenn man gar keinen Antrag mehr stellen müsste. Bei bestimmten Lebensereignissen könnte die Verwaltung von selbst aktiv werden. Die Steuerverwaltung macht das mit der vorausgefüllten Steuererklärung schon vor. Und beim Kindergeld ließe sich das ebenfalls automatisieren. Sobald das Kind geboren ist und die Steuer-ID feststeht, könnte die Zahlung automatisch erfolgen. Ohne Antrag, ohne Laufzettel, ohne Wartezeiten.
Der Knackpunkt beim sogenannten Push-Government liegt allerdings im Selbstverständnis der öffentlichen Verwaltung. Sie ist es gewohnt zu warten, bis ein vollständiger Antrag eingeht. Proaktiv zu handeln bedeutet aber auch, die Menschen über ihre Ansprüche zu informieren. Manche befürchten, dass das zu mehr Anträgen führt. Diese Sorge zeigt, dass es nicht nur technische Fragen sind, die den Fortschritt bremsen. Es fehlt oft schlicht das passende Mindset.
Anreize schaffen
Statt Menschen zu zwingen, digital zu werden, könnte man über Anreize arbeiten. Wenn Online-Dienste günstiger sind, nutzen sie mehr Menschen. Die Schwierigkeit liegt eher in praktischen Dingen. Wer zum Beispiel eine Zulassung persönlich abholt, hat das Dokument sofort in der Hand. Online dauert die Zustellung manchmal zwei Wochen. Terminbuchungen innerhalb der nächsten Tage schaffen da nur begrenzt Abhilfe. Taucht trotzdem jemand ohne Termin auf, könnte man Terminals bereitstellen, an denen der Antrag direkt digital gestellt wird.
Auch bei komplexeren Verfahren könnte man überlegen, Abschlagszahlungen zu ermöglichen, während Offline-Nutzer erst alle Nachweise einreichen müssen. Für manche Verfahren wäre das gut machbar. Außerdem könnte man längere Gültigkeitszeiten für Dokumente einführen, um digitale Nutzungsquoten zu erhöhen.
Fazit
Es gibt viele Möglichkeiten, die flächendeckende Nutzung der digitalen Verwaltung zu fördern. Nur in Kombination mit einem flächendeckenden Angebot lässt sich die „digitale Dividende“ anheben. Hier bedarf es dringend eines erweiterten Blickes der handelnden Akteure.





