Der Bürokratieabbau ist eine dringende Forderung der Wirtschaft; zudem wird sie in diversen Forschungen, Beiräten und Initiativen thematisiert und stellt eine Zielsetzung der neuen Bundesregierung dar. Das Thema ist also hochaktuell. Doch wie kann Bürokratieabbau letztlich gelingen? Darauf geht dieser Artikel ein.
Die drei Stellschrauben des Bürokratieabbaus
Um den Bürokratieabbau letztlich zu bewerkstelligen, sind drei Aspekte besonders zu berücksichtigen: Praxisnahe Gesetzgebung, mehr Zentralisierung und die Verwaltungsdigitalisierung. Das Problem ist hierbei, dass auf die Behörden immer neue Vorgaben von EU und Bund einprasseln – oft fehlt es jedoch an Zeit, Kapazität, Kompetenz sowie den finanziellen Mitteln, diese umzusetzen.
Konsolidierung und zentrale Komponenten
Bevor Landratsämter und Gemeinden beispielsweise Anforderungen zur Digitalisierung aus EU-Gesetzgebung, nationalen Gesetzen, Beschlüssen des IT-Planungsrates und DIN-Vorgaben einzeln umsetzen und dafür ggf. jeweils isolierte Komponenten integrieren, muss der Bund die Themen sinnvoll konsolidieren. Dazu gehören zentral zur Verfügung gestellte, einheitliche und umfassende Basis-Komponenten, die die Anforderungen komplett aufdecken – inklusive deren (Vor-)Finanzierungen.
Dies ist gerade nicht als Eingriff in die Selbstverwaltung oder als Abschaffung des Föderalismus zu verstehen. Im Gegenteil: Der Bund bietet sogar günstige und einheitliche Lösungen an. Diese entwickelt er gemeinsam mit den Ländern und nutzt Best Practices der Kommunen. Wer stattdessen sein Selbstverwaltungsrecht in Anspruch nimmt und es anders will, muss sehen, wie er anschlussfähig wird. Der Weg zum Erfolg lautet somit: Ein Angebot besserer Lösungen statt Zwang zur Zentralisierung.
Bürokratie-Check
Viele Kommunen kämpfen mit der Anwendung komplizierter Gesetze des Bundes – sehr aufwendige Einzelfallprüfungen oder zahlreiche Ausnahmen sind der Standard. Hier wäre der Vorschlag: Neue Gesetzesvorhaben müssen von Praktikern aus Kommunen auf deren einfache Anwendbarkeit geprüft werden.
Muss zwingend ein Antrag eingereicht werden?
Man kann sagen, die deutsche Bürokratie „lebt“ von Anträgen. Doch genau dort könnte der Bürokratieabbau ansetzen. Als Beispiel könnte man die Geburt heranziehen. Die Steuer-ID wird heute schon automatisch angelegt, der Antrag ist obsolet. Genauso lässt sich das auf das Kindergeld und die Geburtsurkunde übertragen.
Das Stichwort lautet „Push Government“. Damit ist allerdings nicht nur die Information der Menschen über Angebote der Verwaltung oder ablaufende Fristen, sondern auch das proaktive Handeln der Behörden: Ist ein bestimmtes Lebensereignis eingetreten, wird die Verwaltung tätig. Ganz ohne Antrag. Zeitgleich könnten Urkunde und Bescheide im Bürgerkonto abgelegt werden, welches ebenfalls bei Geburt automatisch eingerichtet wird. Dieses Vorhaben der neuen Regierung ist zielführend, wenn Behörden zeitgleich zur Nutzung der dort abgelegten Dokumente verpflichtet werden. Dann wird nicht nur Bürokratieabbau Realität, sondern auch die Kundenzufriedenheit steigt.
Der Kunde im Blick der Verwaltung
Das neue Steuerungsmodell hat bereits in den 1990er Jahren diese Kundenorientierung ins Zentrum gerückt. Dass das bis heute nicht gelebte Praxis ist, wird an der Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung sichtbar: Es wurde gezählt, wie viele Leistungen online sind (Output) und nicht, ob Bürokratie abgebaut, Kosten eingespart oder die Kunden zufriedener geworden sind (Outcome). Das bloße Vorhandensein eines Online-Dienstes führt nicht unbedingt zu dessen Nutzung – gerade, wenn der analoge Behördengang schneller und einfacher zum Ziel führt.
Vielerorts werden bereits Chatbots eingeführt. Doch Studien verneinen regelmäßig, dass diese zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit beitragen. Um Bürokratieabbau zu realisieren, müssen stattdessen Kunden und deren Bedürfnisse sowie der Nutzen für die Verwaltung ins Zentrum gestellt werden. Beispiele wie die Entwicklung von Online-Diensten gemeinsam mit den Zielgruppen oder die Feedbackerhebung mit dem Ziel der Optimierung der digitalen Verwaltung gibt es bereits.
Prüfungen ans Ende verlagern
Ein Beispiel für ausufernde Bürokratie ist der Antrag auf Elterngeld. Ob analog oder inzwischen digital: Nicht nur Antragsteller müssen eine ganze Reihe von Unterlagen einreichen – auch die Verwaltung prüft umfassend. Diese Prüfung erfolgt zweimal. Nach Ende der Bezugsdauer muss nochmal alles nachgewiesen werden und das Amt prüft anschließend erneut.
Der Gesetzgeber wollte Familien eigentlich unterstützen. Aus Kundensicht gibt es bei Familienzuwachs Wichtigeres zu tun, als sich tagelang mit einem Antrag herumzuschlagen. Für Behörden ist eine solche Doppelprüfung wenig zielführend. Daher sollte die aufwendige Prüfung nur einmal am Ende des Zeitraums durchgeführt werden. Mit Verweis auf Vorläufigkeit und unter Berücksichtigung des letzten Steuerbescheides wird schnell und unbürokratisch zunächst ein Abschlag gezahlt. Diese Vorgehensweise funktioniert bereits in vielen weiteren Verwaltungsverfahren und wäre sowohl dem Bürokratieabbau als auch der Kundenorientierung zuträglich.
Ängste nehmen, Motivation fördern
Das Problem bei all diesen Maßnahmen: Menschen vertrauen Behörden weniger als den sozialen Medien beim Umgang mit ihren Daten und in den Verwaltungen herrscht Angst vor Veränderung und Machtverlust. Beispiele, bei denen solche Ängste die Vorteile des Bürokratieabbaus verdrängt haben, sind die Einführung des neuen Personalausweises (nPA) und der elektronischen Patientenakte.
Bürokratieabbau wird nur mit einem gewissen Anschluss- und Benutzungszwang funktionieren: Sei es die Deutschland-ID oder aktuell das Bürgerkonto. Damit die Menschen sich gegen solche vermeintlichen Zwangsmaßnahmen nicht wehren, muss der Staat besser kommunizieren, erklären und werben. Es gilt, mehr über Sinn, Vorteile, Zweck und Notwendigkeit der Maßnahmen zu lesen, zu sehen und zu hören, als über abstrakte Gefahren des Datenschutzes. TV-Werbung, Ads, Banner, Social Media – eine solche Behördenkommunikation muss dahin, wo sich die Menschen informieren. Vertrauen muss aufgebaut werden. Dazu gehört auch die (verwaltungsinterne) Erklärung von Begriffen wie „Blockchain“ und „KI“. Wenn Verwaltungsmitarbeiter selbst nicht genau wissen, wie es funktioniert, wie sollen diese dann die Bürger zur Nutzung motivieren?
Ausblick
Werbung ist nur ein Punkt, der in nahezu allen Papieren zum Bürokratieabbau fehlt. Auch Personalentwicklung beschränkt sich auf Kompetenzen. Finanztöpfe für Behörden mit besonders effektivem Bürokratieabbau sind genauso wenig vorgesehen wie Leistungsanreize für Verwaltungsmitarbeitende, die innovative Konzepte entwickeln. Ohne diese und die hier skizzierten weiteren Maßnahmen bleibt Bürokratie bloß eine pauschale Forderung und wird im Sande verlaufen. Behörden müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Verwaltung mit den Stichworten Kundenorientierung und Push Government neu zu denken. Dann funktioniert auch der Bürokratieabbau.