Öffentliche Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, Bewerberinnen und Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn ihnen die Schwerbehinderung bekannt ist oder sie diese kennen müssen. Das gilt grundsätzlich auch für interne Bewerbungen. Was Arbeitgeber dabei zu beachten haben, zeigt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (Urteil v. 25.04.2024, 8 AZR 143/23).
Der Fall
Eine Mitarbeiterin mit Schwerbehinderung war seit dem 15.02.2021 befristet an der Medizinischen Fakultät einer Universität beschäftigt. Arbeitgeber war das Land. Im April und Mai 2021 veröffentlichte das Land interne Stellenausschreibungen für die Stelle an einem Institut für Physik sowie einem Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften an der Naturwissenschaftlichen Fakultät derselben Universität.
In beiden Stellenausschreibungen wurde darauf hingewiesen, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt werden. Keine der Stellenausschreibungen enthielt einen Hinweis darauf, dass die Personalakte im Bewerbungsverfahren (ggf. nach Einwilligung) beigezogen wird.
Die Beschäftigte bewarb sich auf beide Stellen und übersandte den genannten Instituten jeweils neben ihrem Anschreiben einen ausführlichen Lebenslauf und ihre Zeugnisse. Allerdings wies sie im Rahmen der Bewerbungen nicht auf ihre Schwerbehinderung hin.
Nachdem beide Institute in der Folgezeit nicht auf die Bewerbung reagierten und keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgte, machte die Beschäftigte gegenüber dem Land einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend, weil sie wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Es komme ihrer Ansicht nach nicht darauf an, ob die Naturwissenschaftliche Fakultät Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt hätte. Ausreichend sei, dass die Personalabteilung als personalführende Stelle Kenntnis gehabt habe. Diese sei für den rechtswirksamen Abschluss von Arbeitsverträgen zuständig. Die Fakultät, die die Bewerbungsverfahren durchgeführt hat, sei verpflichtet gewesen, bei der Personalabteilung in Erfahrung zu bringen, ob einer oder mehrere Bewerber schwerbehindert oder gleichgestellt gewesen seien.
BAG lehnt Entschädigungsanspruch ab
Das BAG bewertete den Fall anders: Nach seiner Auffassung wurde die Stelleninhaberin nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt, weshalb es auch den Entschädigungsanspruch der Beschäftigten ablehnte.
Wie das Gericht ausführt, begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung i. S. v. § 22 AGG. Nach § 165 S. 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen Arbeitsplatz bei einem öffentlichen Arbeitgeber beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Diese Pflicht gilt nicht nur bei externen Bewerbungsverfahren, sondern auch bei internen Stellenbesetzungen. Schwerbehinderte Bewerber sollen dadurch ihre Chancen im Auswahlverfahren verbessern können. Unterlässt der öffentliche Arbeitgeber die Einladung, begründet allein das regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.
Keine automatische Kenntnis des Arbeitgebers bei dezentralen Bewerbungsverfahren
Voraussetzung für eine solche Vermutung ist jedoch, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese kennen musste. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen. Eine Ausnahme besteht nur, soweit der Dienstherr bereits über diese Information verfügt, ihm die Schwerbehinderteneigenschaft also positiv bekannt ist. Dies kann – wie das BAG ausführt – bei einer Innenbewerbung durchaus der Fall sein, weshalb wie folgt zu unterscheiden ist:
Erfolgt im Rahmen einer internen Stellenausschreibung bspw. ein Hinweis auf die Beziehung der Personalakten (nach entsprechender Einwilligung des Bewerbers) oder wird das Bewerbungsverfahren unter Einbeziehung der zentralen Personalabteilung bzw. innerhalb derselben Fakultät geführt, könnte auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung geschlossen werden.
Im vorliegenden Fall war jedoch bereits den Ausschreibungen zu entnehmen, dass sich um dezentral durchgeführte Bewerbungsverfahren handelt. Die Bewerberin konnte auch nicht aus anderen Gesichtspunkten darauf schließen, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft bekannt sein könnte. Daher kam das BAG hier zu dem Ergebnis, dass keine Vermutungswirkung für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung besteht:
„In der vorliegenden Fallgestaltung spricht die Vielzahl der beim beklagten Land im Bereich der Universität beschäftigten Arbeitnehmer und die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren dafür, dass eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung in den Bewerbungsunterlagen mitzuteilen ist. […] Die das Bewerbungsverfahren durchführenden Fakultäten sind von der zentralen Personalabteilung organisatorisch getrennt. Während die Auswahl der Bewerber in den Instituten der verschiedenen Fakultäten durchgeführt wurde, ist die Personalabteilung zuständig für den anschließenden formalen Abschluss des Arbeitsvertrags mit den im Bewerbungsverfahren ausgewählten Bewerbern. Die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren war für die Klägerin aufgrund der Stellenausschreibungen auch erkennbar. […] Aus den Stellenausschreibungen war auch ersichtlich, dass alle für die Auswahlentscheidung relevanten Informationen in den Bewerbungsunterlagen mitgeteilt werden sollten.“
Grundsätzlich kein Fragerecht des Arbeitgebers nach Schwerbehinderung
Wie das BAG allerdings klarstellte, sind auch interne Bewerber nicht verpflichtet, eine Schwerbehinderung in dem internen Bewerbungsverfahren offenzulegen. Auch besteht diesbezüglich kein grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers. Es liegt also in der Entscheidung des Bewerbers, ob er die Schwerbehinderung berücksichtigt haben will oder nicht.
Da die Bewerberin in diesem Fall von ihrem Recht keinen Gebrauch machte und auch nicht von der Kenntnis des Dienstherrn ausgehen konnte, kann sie sich nun auch nicht auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung berufen.