Seit Jahrzehnten wird in der Psychologie Forschung zu zentralen Themen und Methoden der Personalarbeit betrieben. Doch nicht selten erweisen sich dabei weit verbreitete Überzeugungen als wenig zielführend.
Manche Annahmen basieren auf jahrzehntealten Traditionen, andere entstehen als vermeintlich zukunftsweisende Trends. Da sie gemeinhin als „Best Practice“ gelten, werden sie in der Regel nicht weiter hinterfragt. Im Folgenden werden weit verbreitete Überzeugungen und Praktiken der Personalarbeit als Mythen bezeichnet, die im Widerspruch zu fundierten Forschungsergebnissen stehen.
In den nächsten Wochen werden wir auf neun verschiedene irrtümliche Annahmen eingehen. In diesem Beitrag geht es zunächst um die Themen Erfahrung, Menschenkenntnis sowie Körpersprache.
Mythos 1: Erfahrung ist der beste Ratgeber
Im Allgemeinen bietet Erfahrung die Möglichkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen, Arbeitsprozesse zu optimieren und Routinen aufzubauen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass im Bewerbungsprozess Personen mit langer Berufserfahrung besonders gerne gesehen sind und Stellenanzeigen für Führungskräfte kaum ohne den Hinweis auf langjährige Führungserfahrung auskommen.
Doch diese Sichtweise wird von der Forschung nicht unterstützt. Die Dauer der Berufserfahrung steht je nach zugrunde gelegter Metastudie in einem Zusammenhang von null bis sieben Prozent zur beruflichen Leistung. Erfahrene Führungskräfte unterscheiden sich in der Ausprägung berufsrelevanter Kompetenzen kaum von Neulingen. Personen, die seit Jahren Personalauswahl betreiben, unterliegen in gleicher Weise systematischen Urteilsfehlern wie Personen, die zum ersten Mal in ihrem Leben Auswahlentscheidungen treffen müssen. Berufliche Erfahrung ist mithin kein Garant für den Aufbau von Expertise. Die Erfahrung bietet den Betroffenen zwar die Chance, etwas zu lernen. Diese Chance wird aber offenbar mehrheitlich nicht genutzt.
Mythos 2: Menschenkenntnis ist die beste Auswahlmethode
Wer in seinem Leben bereits viele Menschen kennengelernt hat, dürfte früher oder später versucht sein, sich für einen Menschenkenner zu halten. Irgendwann ist der kritische Punkt erreicht, von dem an andere Personen nach kurzer Interaktion oder auch nur nach dem Lesen eines Anschreibens vermeintlich treffsicher eingeschätzt werden können. Und manch einer bedarf nicht einmal einer solchen Erfahrung, sondern ist quasi von Natur aus ein geborener Menschenkenner. Was Menschenkenntnis im Kern bedingt, ist unklar. Vielleicht ist es so etwas wie Intuition, Bauchgefühl oder schlichtweg das Ergebnis von Lernerfahrungen.
All das spielt letztlich aber auch keine Rolle, solange sich die Betroffenen ihrer besonderen Befähigung sicher sind. Ein Blick in die Forschung zeigt, dass Menschen durchaus in der Lage sind, die Persönlichkeit anderer Personen auf der Basis geringfügiger Informationen einzuschätzen – leider geling ihnen dies aber nur äußerst unvollkommen. Das „machtvolle“ Gefühl der Menschenkenntnis wird oftmals mit einer Vielzahl an systemischen Urteilsfehlern. So werden Menschen, die gut aussehen, bspw. regelmäßig überschätzt. Menschen, die groß und kräftig sind, erscheinen uns intuitiv als führungsstark. Wer in der Personalauswahl primär auf die eigene Menschenkenntnis vertraut, schädigt damit nachweislich seinen Arbeitgeber. Aufgrund dessen getroffene Fehlentscheidungen fühlen sich oft dennoch richtig an und werden daher nicht als solche erkannt.
Mythos 3: Die Körpersprache verrät viel über einen Menschen
Der amerikanische Psychologe Albert Merabian stellte in den 1970er-Jahren die These auf, dass nur sieben Prozent der menschlichen Kommunikation auf dem gesprochenen Wort basieren. Seither wurden unzählige Ratgeberbücher veröffentlicht sowie Seminare und Internetvorträge darüber abgehalten, wie leicht wir über die richtige Deutung der Körpersprache direkten Zugang zur Persönlichkeit eines Menschen erhalten. Am Ende kennen wir die Person sogar besser als diese sich selbst.
Doch bei der Deutung der Körpersprache werden immer zwei unterschiedliche Perspektiven in einen Topf geworfen. Zum einen geht es um die Frage, inwieweit sich in der Körpersprache die Persönlichkeit eines Menschen tatsächlich spiegelt und zum anderen um die Frage, inwieweit wir im Alltag die Körpersprache anderer nutzen, um uns einen Eindruck von ihnen zu verschaffen.
Auf der einen Seite zeigt die Forschung, dass die Körpersprache durchaus etwas über die Persönlichkeit oder das Empfinden einer Person verrät. Dies ist jedoch nur zu wenigen Prozent der Fall. Auf der anderen Seite belegen viele Studien, dass Menschen zu einer massiven Überinterpretation der Körpersprache neigen. Wir deuten also weitaus mehr in die Körpersprache hinein, als drinsteckt. Genau deshalb eignet sich Körpersprache auch bestens dazu, anderen etwas vorzuspielen.