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Eingruppierung von Baumkontrolltätigkeiten im öffentlichen Dienst – Warum das BAG-Urteil (Az.: 4 AZR 283/22) nicht ohne Weiteres auf Niedersachsen und andere Bundesländer übertragbar ist

Baumkontrolleur

Die tarifliche Bewertung handwerklicher Tätigkeiten im öffentlichen Dienst führt regelmäßig zu intensiven Auseinandersetzungen über Reichweite, Systematik und Vergleichbarkeit – insbesondere bei spezialisierten Aufgaben wie Baumkontrollen durch FLL-zertifiziertes Personal. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 25. Januar 2023 (Az.: 4 AZR 283/22), das eine Eingruppierung solcher Tätigkeiten in die Entgeltgruppe 7 (EG 7) unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt hat, hat vielerorts für Aufsehen gesorgt. Doch kann dieses Urteil einfach auf andere Bundesländer, wie etwa Niedersachsen, übertragen werden?

Die klare Antwort lautet: Nein – eine pauschale Übertragbarkeit ist tariflich nicht zulässig.

1. Tarifliche Einordnung hängt vom jeweils geltenden Verzeichnis ab

Der TVöD (Handwerk) gilt bundesweit, doch viele Bundesländer haben eigene landesspezifische Lohngruppenverzeichnisse oder ergänzende tarifliche Bestimmungen abgeschlossen, welche die Eingruppierung konkreter Tätigkeiten detaillierter regeln. Diese differenzierte Rechtslage macht eine pauschale Anwendung einzelner Urteile, wie des BAG-Beschlusses von 2023, methodisch unzulässig.

So hat etwa Nordrhein-Westfalen im dortigen Lohngruppenverzeichnis unter der EG 7, Abschnitt a Nr. 28 die Baumkontrollen explizit als Tätigkeit mit „besonderer Qualifikation“ aufgenommen. Die Eingruppierung kann dort also auf Grundlage einer spezifischen tariflichen Regelung erfolgen.

2. Niedersachsen: Kein spezielles Merkmal für Baumkontrollen

In Niedersachsen hingegen existiert ein solches Tätigkeitsmerkmal nicht. Das geltende Lohngruppenverzeichnis für das Land Niedersachsen enthält lediglich Tätigkeitsbeschreibungen zu baumchirurgischen Arbeiten, also operative Eingriffe im Sinne der heutigen Baumpflege. Baumkontrollen, sprich visuelle Zustandsbeurteilungen zur Verkehrssicherheit nach FLL-Standards, sind nicht separat tariflich geregelt. Es fehlt damit eine eigenständige Bewertungsgrundlage, weshalb ausschließlich die allgemeinen handwerklichen Merkmale des TVöD (Handwerk) zur Anwendung kommen.

Diese sehen für die Entgeltgruppe 7 sogenannte „besonders hochwertige Arbeiten“ vor. Nach den Auslegungshinweisen des Bundesverwaltungsamts bedeutet dies, in Bezug auf das Teilmerkmal der Fachlichkeit (vielseitiges, hochwertiges und fachliches Können):

„Das fachliche Können muss deutlich über den Normalfall hinausgehen; es soll sich in seiner Breite und Tiefe mindestens auf dem Niveau eines zweiten Berufsbildes bewegen.“
(Vgl. Allgemeine Tätigkeitsmerkmale für körperlich/handwerklich geprägte Tätigkeiten (Teil II der Entgeltordnung Bund; BVA, Köln 2019. 2. Auflage). Weiter hat das BAGin seinen Urteilen festgestellt, dass Vielseitigkeit bedeute, dass der:die Stelleninhaber:in ein umfangreicheres und breiteres hochwertiges fachliches Können einsetzen müsse, als es durchschnittlich der Fall sei. Als Voraussetzung des vielseitigen fachlichen Könnens bedürfe es eines „großen Erfahrungsschatzes” oder notwendigen „Kenntnissen aus Zusatzqualifikationen. (Vgl. Urt. v. 03.02.1988 – 4 AZR 493 / 87 und Urt. v. 27.08.2008 – 4 AZR 484 / 07.)

Die Anforderungen der EG 7 sind insgesamt kumulativ zu sehen. So ist zusätzlich zur Steigerung hinsichtlich der Fachlichkeit ebenfalls eine besondere Umsicht und Zuverlässigkeit gefordert – letztere etwa im Sinne einer vollständig eigenständigen Aufgabenerledigung ohne Kontrollbedarfe durch Vorgesetzte.

Eine FLL-Zertifizierung allein erfüllt diese Anforderungen nicht. Die Qualifikation bewegt sich im Regelfall innerhalb des beruflichen Erstprofils (z. B. Gärtner:in, Forstwirt:in) und führt nicht zur Ausweitung auf ein zweites Berufsbild im tariflichen Sinne. Die Fortbildung kann durchaus als Ergänzung zur Grundausbildung gewertet werden, hingegen ist sie nicht dem Niveau eines zweiten Berufsbildes gleichzustellen. Die Erweiterung des fachlichen Wissens durch diese spezifische Fortbildung ist darüber hinaus bereits mit den Teilmerkmalen der EG 6 (hochwertige Arbeiten – Steigerung im Überlegungsvermögen und fachlichem Geschick) entsprechend gewürdigt. Sie rechtfertigt daher nicht automatisch eine Eingruppierung in EG 7.

3. Baden-Württemberg: Tariflich anderes Regelwerk

Dass das BAG-Urteil nicht verallgemeinert werden darf, zeigt ein Blick in andere Bundesländer, z. B. nach Baden-Württemberg. Dort haben die Tarifvertragsparteien mit dem Entgeltgruppen-Tarifvertrag Nr. 6 G BW ein eigenständiges Kapitel für Kontrolltätigkeiten, darunter auch Baumkontrollen, eingeführt. Diese Tätigkeiten werden dort mit eigenen Bewertungsmerkmalen unterlegt, was eine differenzierte Eingruppierungsentscheidung erlaubt. Damit ist auch tariflich sichergestellt, dass Baumkontrollen, je nach Umfang und Qualifikation, über die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale hinausgehend bewertet werden können – anders als in Niedersachsen.

4. Das BAG-Urteil ist kein allgemeingültiger Maßstab

Im zitierten Urteil aus 2023 hat das BAG nicht auf eine „besondere Vielseitigkeit“ abgestellt, sondern auf die konkrete tarifliche Regelung im Verzeichnis von NRW, die eine Zusatzqualifikation als eigenständiges Eingruppierungsmerkmal voraussetzt. Die allgemeinen Merkmale des TVöD (Handwerk) hingegen enthalten kein Teilmerkmal, das auf eine formale Zusatzqualifikation abstellt – dort ist ausschließlich die inhaltliche fachliche Breite (zzgl. der besonderen Umsicht und Zuverlässigkeit) maßgeblich.

Das BAG selbst hat zudem im Urteil ausgeführt, dass eine Anwendung auf „Vielseitigkeit“ im tariflichen Sinne zu verneinen sei, da die Baumkontrolltätigkeit regelmäßig nicht die fachliche Breite eines zweiten Berufsbildes erreicht. Dies steht im Einklang mit den allgemeinen tariflichen Auslegungsvorgaben.

Fazit: Eine differenzierte Betrachtung ist zwingend erforderlich

Die Eingruppierung von Baumkontrolltätigkeiten ist nicht bundeseinheitlich vorzunehmen, sondern stets im Abgleich mit den jeweiligen landesspezifischen tariflichen Regelungen zu bewerten. Das BAG-Urteil von 2023 hat für NRW Relevanz – in Niedersachsen oder Baden-Württemberg gelten jedoch andere tarifliche Grundlagen. Die dortige Anwendung der allgemeinen Merkmale führt aus bewertungsrechtlicher Sicht regelmäßig zur EG 6, da die Tätigkeit nicht die tariflich geforderte Vielseitigkeit auf dem Niveau eines zweiten Berufsbildes erfüllt.

Auch unsere Erfahrungen aus der Bewertung ganzer Bauhöfe, etwa in Baden-Württemberg, bestätigen: Nur wenn das jeweilige Landesverzeichnis eine spezifische Tätigkeit mit klar definierten Merkmalen vorsieht, kann von der allgemeinen Linie abgewichen werden. In Niedersachsen ist dies (noch) nicht der Fall.

Wir hoffen, dass andere Bundesländer nachziehen und ihre landesspezifischen Verzeichnisse weiterentwickeln. Handwerkliche Tätigkeiten wie Baumkontrollen, aber auch viele andere spezialisierte Aufgaben in kommunalen Bauhöfen, Grünflächenämtern oder Forstbetrieben, verlangen nach klaren, nachvollziehbaren und differenzierten Bewertungsgrundlagen. Denn am Ende geht es bei tariflichen Bewertungen nicht nur um Zahlen und Entgeltgruppen – sondern auch um Wertschätzung, Sichtbarkeit und Systematisierung dieser Berufsfelder. Erst wenn Tätigkeiten transparent beschrieben und tariflich greifbar gemacht werden, kann ihre Relevanz im öffentlichen Dienst auch strukturell abgebildet werden.

Unser Wunsch bleibt deshalb:
„Ran an die landesspezifischen Verzeichnisse!“

Bis dahin unterstützen wir Kommunen, Bauhöfe und öffentliche Einrichtungen gerne bei der sachgerechten Bewertung handwerklicher Aufgaben – bundeslandunabhängig, analytisch fundiert und mit dem Blick fürs Detail.

Unsere Kolleginnen Frau Macuda und Frau Siebert haben sich auf diesen Bereich spezialisiert und stehen Ihnen mit ihrer Expertise rund um Eingruppierungsfragen im handwerklichen Bereich gerne zur Verfügung. Darüber hinaus sind sie auch Ansprechpartnerinnen für die Bewertung nach anderen Tarifmerkmalen.

Franziska Macuda
📧 E-Mail: f.macuda@optiso-consult.de
📞 Mobil: +49 178 273 0514
📞 Zentrale: +49 531 61565783

Lena Siebert, B.Sc.
📧 E-Mail: l.siebert@optiso-consult.de
📞 Mobil: +49 178 579 9718
📞 Zentrale: +49 531 61565783