Organisation und Personal
Voraussichtliche Lesezeit: 5 Minuten

Sieben Fakten zur Arbeitszeiterfassung

Wieder geht ein Jahr zu Ende, doch das nächste wirft bereits seine Schatten voraus. Zeit also, schonmal vorauszublicken – was ändert sich arbeits- und personalrechtlich im kommenden Jahr 2023?

In diesem Beitrag geht es um sieben Fakten, die künftige Regelungen zur Arbeitszeiterfassung betreffen.

Mit dem Beschluss vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgelegt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann. Was heißt das für die Praxis?

  1. Die tatsächliche Arbeitszeit ist zu erfassen

Es müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit dokumentiert werden – inklusive Überstunden und Pausenzeiten. Schicht- oder Dienstpläne reichen künftig nicht mehr aus.

Seitens des BAG wird in der Urteilsbegründung gefordert, dass die Arbeitszeitdaten nicht nur erhoben, sondern so erfasst und aufgezeichnet werden, dass eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden möglich ist. Es reicht nicht aus, dass die Organisation ihren Mitarbeitern lediglich ein Zeiterfassungssystem anbietet, sie trägt auch Verantwortung dafür, dass diese es nutzen und ihre Zeiten dokumentieren.

Zudem gibt das BAG den Organisationen die Möglichkeit, die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Beschäftigten zu delegieren. So kann etwa eine entsprechende Richtlinie – wie etwa eine Betriebsvereinbarung – verfasst werden, damit die Zeiterfassung verbindlich geregelt wird und die Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Nutzung des Systems verpflichtet sind.

2. Form der Arbeitszeiterfassung bisher nicht vorgegeben

Die Form des Systems kann frei geregelt werden, solange der Gesetzgeber keine konkrete Regelung vorgibt. Es ist daher nicht zwangsläufig erforderlich, dass die Erfassung elektronisch erfolgt, auch eine Durchführung in Papierform ist möglich.

3. Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin möglich

Hinsichtlich der Vertrauensarbeitszeit wurden keine tiefgreifenden Änderungen beschlossen. Das bedeutet, dass die Beschäftigten Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen können. Der Arbeitgeber verzichtet dabei auf Kontrollen, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten auch einhalten (vgl. BAG, Urteil vom 26. Juni 2019, Az. 5 AZR 452/18). Zu beachten sind jedoch die gesetzlichen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes wie Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten sowie das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot zu beachten. Die Möglichkeit, dass sich Beschäftigte ihre Arbeitszeit frei aussuchen dürfen, bleibt also grundsätzlich weiterhin bestehen.

Neu ist allerdings, dass Arbeitgeber nicht mehr auf jegliche Dokumentation der Arbeitszeit verzichten können. In seiner Begründung hat das BAG festgelegt, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie Pausenzeiten und Überstunden erfasst werden müssen. Die Möglichkeit, dass die Arbeitszeit erst gar nicht erfasst werden muss, wird also für den Großteil der Beschäftigten nicht mehr bestehen.

4. Keine Zeiterfassung für leitende Angestellte

Das Arbeitszeitgesetz ist für „echte“ leitende Angestellte nicht anwendbar. Davon sind insbesondere Führungskräfte betroffen, die zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern berechtigt sind oder eine nicht unbedeutende Prokura haben.

Weitere Ausnahmen sind nach der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) für Beschäftigte möglich, deren Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Beschäftigten selbst bestimmt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber jedoch bisher keinen Gebrauch gemacht. Denkbar wäre es etwa – wie in anderen EU-Staaten –, Lohngrenzen festzulegen, oberhalb derer die Aufzeichnungspflicht nicht gilt.

5. Pflicht zur Zeiterfassung ist Arbeitsschutz

Was war der Anlass für die Entscheidung des BAG? Ein Betriebsrat wollte bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems mitbestimmen. Ein Mitbestimmungsrecht jedoch ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber bereits gesetzlich zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet ist. Eine solche gesetzliche Verpflichtung zur umfangreichen Zeiterfassung sieht das BAG im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Aufgrund der Rechtsprechung de EuGH, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ einzurichten, sei § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG so auszulegen, dass der Arbeitgeber die gesamte tatsächliche Arbeitszeit der Beschäftigten erfassen muss.

6. Kein Initiativrecht für den Betriebs-/Personalrat

Nach dem Beschluss des BAG steht fest, dass der Betriebs- bzw. Personalrat die Einführung eines (elektronischen) Zeiterfassungssystems nicht verlangen kann. Es besteht grundsätzlich keine Möglichkeit für den Betriebs- bzw. Personalrat, die Zeiterfassung bei Nichtumsetzung in der Organisation gerichtlich durchzusetzen.

Jedoch besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der konkreten Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems. Das BAG formuliert ausdrücklich in seiner Urteilsbegründung, dass die Ausgestaltung „Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats“ lässt. Den verschiedenen Parteien kommt dabei ein gewisser Gestaltungsspielraum zu, in welcher Art und Weise – gegebenenfalls differenziert nach Art der Tätigkeiten – die Zeiterfassung erfolgen soll.

7. Verstoß gegen die Erfassungspflicht führt nicht zu unmittelbaren Konsequenzen

Laut dem BAG stellt die Einrichtung eines Zeiterfassungssystems für Arbeitgeber eine „objektive gesetzliche Handlungspflicht“ dar. Arbeitszeiten müssen folglich grundsätzlich ab sofort erfasst werden. Arbeitgeber können daher nicht darauf warten, dass der Gesetzgeber weitere Regelungen zur Arbeitszeiterfassung erlässt.

Doch es gibt eine kleine „Entwarnung“: Ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz ist nicht unmittelbar bußgeldbewährt und stellt keine Ordnungswidrigkeit dar. Die zuständige Behörde muss, um ein Bußgeld verhängen zu können, zunächst anordnen, dass die Arbeitszeit im Betrieb erfasst werden soll. Geldbußen drohen erst, wenn einer entsprechenden Anordnung einer Arbeitsschutzbehörde nicht Folge geleistet wird.

Nichtsdestotrotz sollten sich Arbeitgeber zwingend mit dem Thema Arbeitszeiterfassung auseinandersetzen. Es besteht bereits jetzt eine gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit. Darüber hinaus sollte auch berücksichtigt werden, dass die Implementierung digitaler Zeiterfassungssysteme, deren Einbindung in bereits bestehende HR-Software und -Prozesse sowie etwaige Verhandlungen mit dem Betriebs- bzw. Personalrat sehr zeitintensiv sein können. Mit entsprechender Vorarbeit kann wichtige Zeit bei der Umsetzung eingespart werden, wenn es demnächst zu einer Regelung durch den Gesetzgeber kommt.